Fast wie zu Hause!

Jetzt bin ich schon gute zwei Wochen fern der Heimat und es kommt mir so vor, als wären es schon mindestens zwei Monate. Wieder einmal bin ich erstaunt darüber, wie schnell man sich in fremde Begebenheiten eingewöhnt, erst Recht, da es sich um eine komplett andere Kultur handelt und hier wirklich (fast) nichts ist, wie in Deutschland. Und obwohl man davon ausgehen könnte, dass man die Heimat doch vermisst, bin ich auch erstaunt darüber, dass dem überhaupt nicht so ist. Dafür gefällt es mir hier viel zu sehr: das Wetter, die wunderschöne Landschaft und natürlich die Menschen … Aber auch wenn dem nicht so wäre haben wir einfach viel zu viel zu tun, als das da Platz für Heimweh bliebe und das, obwohl wir noch nicht einmal mit dem Unterrichten angefangen haben …

So sind wir letzte Woche in unsere Projektarbeit gestartet, als wir uns daran machten, die gesammelte Altkleidung von bestimmt einem Viertel Jahr zu sortieren. Gefühlte zehn Tonnen Klamotten nach Geschlecht, Alter und Kleidungsstück zu sortieren ist schon einiges an Arbeit, auch wenn sieben fleißige Paar Hände mit anfassen.

Und obwohl man sich so heimisch fühlt lernt man doch immer wieder neue, chinesische Gebräuche und Traditionen kennen. So beispielsweise das Spazierengehen! Wer jetzt meint, „Hää!? Das kenn ich doch!“, der hat wahrscheinlich noch nie Chinesen spazieren gehen sehen. Denn Chinesen spazieren nicht eine Strecke, sondern eine Runde … eine Runde auf dem Sportplatz, genauer gesagt auf der 400m-Bahn, immer im Kreis und das bis zu ein paar Stunden lang. Immer im Kreis! Und für wen das zu einfach ist, gibt es natürlich noch eine vorgeschrittene Übung: Rückwärtsgehen! Ja, genau! Stellt euch also gut Hundert Chinesen vor, die einfach nur im Kreis gehen und einige von denen auch noch rückwärts. Natürlich mussten wir (Leonard, Leon und ich) das auch gleich ausprobieren und haben so unsere ersten Runden auf dem Sportplatz gedreht, natürlich auch rückwärts. Was sich zunächst komisch anfühlt und auch für witzige Gedanken sorgt, hat bestimmt irgendeinen physiotherapeutischen Sinn und ist irgendwann auch recht entspannt.

Unser chinesischer ‚Kulturunterricht‘ ging am Monat weiter, als wir am Montag in Philipps Geburtstag rein feierten und uns dazu zum Barbecue trafen, heißt alle setzen sich um einen Tisch, in dessen Mitte ein Grill angebracht ist und da kommt dann drauf, was die chinesische Küche so hergibt: das fängt mit ganz normalem Hünchenfleisch und Zucchini an und geht über Formfisch und Gänsefüße bis hin zum Hühnerpo! Und als Beilage frittierte Mehlwürmer und Heuschrecken. Zwar mehr oder weniger gewöhnungsbedürftig, aber deshalb noch lange nicht minder lecker, besonders die Insekten erinnern stark an Chips mit leicht fleischigem Geschmack.

Um Mitternacht (also zu Philipps Geburtstag) wies Leonard uns in eine weitere chinesische Tradition ein: und zwar bekommt das Geburtstagskind eine aufwendig dekorierte Torte geschenkt, die natürlich auch gegessen wird. Weil das aber irgendwie zu langweilig wäre, darf jeder Gast sich vorher ein Stück Torte nehmen (um nicht zu sagen: grabschen) und es dem Geburtstagskind liebevoll im Gesicht platzieren (um nicht zu sagen: schmieren). Weil das aber auch irgendwie langweilig und einseitig ist, weil wir Deutschen das doch bestimmt besser können, hauptsächlich aber, weil Philipp nicht einsah der Einzige mit Kuchen im Gesicht zu sein, bauten wir diese Tradition ein wenig aus, was, einfach gesagt, in einer absoluten Kuchenschlacht mündete, nach der wir, und natürlich auch der Raum, nicht mehr allzu sauber waren … aber es hat Spaß gemacht!!

Heute Morgen bauten Leon und ich dann unsere Kenntnisse im (Vorwärts-)Gehen aus, als wir uns mit Jenny verabredeten, um unsere Internetflat zu verlängern. Sie meinte, wir müssen nur warten, bis ihre Nachbarin wach wäre, die im China-Unicom Laden arbeiten würde und das alles für uns regeln würde … also lud sie uns spontan zu einer Runde Spazierengehen ein. Aus der einen Runde wurden dann doch einige mehr und die Zeit nutzen wir um mit ihr über Dies und das zu reden, hauptsächlich rund um die Schule. So fragte Jenny uns dann auch irgendwann, ob wir nicht Lust/ Zeit hätten ihr ein wenig Deutsch beizubringen. Da man so etwas natürlich schwer ablehnen kann und da wir uns auch Fortschritte für unser Chinesisch erhofften willigten wir ein und verabredeten uns am Abend für eine erste Deutschstunde.

Zuvor fuhren wir noch schnell nach Lanping um im „Baumarkt“ Farbe und Pinsel zu kaufen (wir wollen die Tage nämlich mit einer groß angelegten Renovierung unserer Wohnung beginnen).

Nun haben wir unsere erste Stunde (wenn auch nicht English, wie gedacht) hinter uns, Jenny kann ihre ersten deutschen Worte und auch wir hatten eine Menge Spaß, sei es weil sie versuchte Laute auszusprechen, an die der normale Chinese nie auch nur denken würde oder weil wir selbst uns in die Grundlagen des Deutschen vertieften, über die man noch nie nachgedacht hat, weil sie einfach so da sind, sitzen in unserer Wohnung (der erste Raum ist wegen der bevorstehenden Renovierung fast gänzlich leer geräumt) genießen den ruhigen Abend und ich versuche mich, mit einer gemütlichen Fleecejacke und einer ganzen Menge gutem, chinesischem Tee einer aufkommenden Erkältung entgegenzustellen (wahrscheinlich die späte Folge unserer nächtlichen Bergwanderung). Ansonsten ist hier alles gut, wir genießen die letzten ruhige Tage bis zu Start des (offiziellen) Unterrichts und sehen einem spannenden Jahr entgegen.

Liebe Grüße an dieser Stelle, auch von Leon und bis denn …

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Kommentare: 1
  • #1

    Tante Gabriele (Sonntag, 21 September 2014 20:09)

    Lieber Till,
    jetzt vermisse ich doch noch die Fotos von der Kuchenschlacht und dem Spazierengehen! Wahrscheinlich war bei ersterer kein Finger mehr sauber um den Auslöser zu bedienen.
    Gruß Gabi