Arbeit, wo wir Urlaub machen.

Über drei Wochen sind wir nun schon in China … Zeit für ein wenig Urlaub. Und am besten wäre es natürlich, wenn man dabei sogar noch etwas Sinnvolles machen kann! Also packten Leonard, Leon und ich unsere Taschen und fuhren für einen Kurzurlaub nach Yingpan, einem kleinen Ort knappe zwei Stunden von Lanping entfernt. Natürlich war der Sinn dieser Reise, wie bereits angedeutet nicht nur reines Vergnügen. Stattdessen verbanden wir sie mit dem sogenannten „Scouting“. Wir schauten uns in der Gegend also ein wenig um (primär an abgelegenen Bergschulen), um Möglichkeiten zu finden verschiedene Projekte durch zu ziehen, wie beispielsweise das Kleiderprojekt oder das Hygieneprojekt. Ich entschuldige mich jetzt schon einmal für die Länge der nun folgenden Erzählung:


Das Abenteuer begann bereits bevor wir eigentlich los gefahren waren. Leon und ich trafen uns früh morgens mit Leonard am Busbahnhof von Lanping um uns einen Kleinbus zu suchen, der uns nach Yingpan bringen sollte. Das war auch kein Problem und recht schnell saßen wir in dem entsprechenden Vehikel. Es konnte allerdings noch nicht los gehen, da der Fahrer versuchte, sein Wagen noch möglichst voll zu bekommen, um die Fahrt auch möglichst lukrativ zu gestalten. Der letzte Gast, ein chinesischer Opa, zog aber wieder beleidigt ab, als er erkennen musste, dass der Beifahrersitz bereits belegt war, und dabei wollte er doch so gerne vorne sitzen … Der Fahrer sprach also kurz mit der Chinesin, die sich den begehrten Platz gesichert hatte, diese setzte sich dann auch tatsächlich nach hinten und der Opa, nun vergnügt, wie ein Kind an Weihnachten und dem Geburtstag zusammen, stieg vorne ein und die Fahrt konnte endlich los gehen.

In Yingpan angekommen und nach einer kleinen Nudelsuppe als Mittagessen suchten wir uns nun ein Tuktuk, um möglichst schnell und günstig in die entlegenen Dörfer auf den Bergen zu kommen. Bei Preisen zwischen 60 und 100 Yuan entschieden wir uns dann allerdings, auf diesen Luxus zu verzichten und die Strecker erst einmal zu wandern … würde ja schon nicht allzu lang werden! Dauerte es dann doch, und nach einer guten Stunde hatten wir dann endlich eine Schule ausgemacht. Nicht ganz die, die wir zuerst eingeplant hatten, aber na gut. Der Nachteil war nur, dass diese Schule, warum auch immer, mitten auf einem Berg erbaut wurde, also machten wir uns auf den steilen Weg bergauf. Glück im Unglück: etwa auf halben Weg sammelte uns dann ein Tuktuk-Fahrer ein und brachte uns kostenlos auf den Berg zur Schule.

Dort angekommen wurden wir auch sofort von einer begeisterten Horde von Schülern empfangen. Wir fanden dann auch recht bald heraus, dass die Lehrer gerade Mittagspause machten und die Schüler deshalb auch unbeaufsichtigt über den Schulhof tobten, oder zumindest über die Baustelle, die man als Schulhof betrachtetet. Denn überall standen Baugeräte herum und in einigen Ecken türmte sich der Bauschutt. Generell machten die Schule, und auch die Schüler einen sehr ärmlichen Eindruck auf uns. Die Kleidung der Schüler war größtenteils kaputt, dreckig oder einfach deutlich zu klein und bei ihrer Hygiene sah es nicht wirklich besser aus, was sich hauptsächlich an deren Zähnen, sowie einem miefenden Geruch zeigte, der über dem ganzen Schulgelände zu liegen schien. Und auch die Schule an sich machte keinen besseren Eindruck. Von der Bausubstanz her noch ganz gut, war das Unterrichtsgebäude und speziell die einzelnen Klassen einfach viel zu klein und auch die Einrichtung ließ stark zu wünschen übrig. Die Schüler- und Lehrerunterkünfte hingegen waren einfach nur miserabel. Die Gebäude an sich waren in einem wirklich schlechten Zustand, standen aber immer noch in keinem Vergleich zu den Einrichtungen … einfache Doppelbetten, in denen die Schüler meist nur auf Holzplatten, und dann auch meistens mit zwei bis drei Personen pro Bett schliefen. Im Nachhinein war dies auch die deutlich ärmste Schule, mit den größten Bedürfnissen.

Nachdem die Lehrer dann irgendwann geweckt wurden, setzten wir uns, unter größtem Interesse von Seiten der Schüler zusammen auf den Schulhof und besprachen die Lage: wer wir sind und was wir wollen, was die Schule am dringendsten benötigt und dann noch ein kleinen Rundgang über das Schulgelände und durch die Gebäude; stets verfolgt von einer riesigen Traube an neugierigen Kindern.

Nach einer freundlichen Verabschiedung und der Zusage, dass wir schauen werden, wie wir helfen können, ging es für uns weiter, denn unser eigentliches Ziel, die Schule in Janmen hatten wir ja immer noch nicht erreicht. Nach einer weiteren knappen Stunde half uns ein netter Polizist, indem er uns versicherte, wir müssten nur an der nächsten Brücke den Fluss im Tal (dem Mekong) überqueren und auf der anderen Seite noch 40 Minuten den Berg hoch laufen. Am Fuß des Berges konnten wir dann auf ein Tuktuk aufsteigen, dass uns noch knapp eine Stunde den Berg hinaufbrachte, bevor wir dann endlich die Schule erreichten. Auf dieser Fahrt hatte ich auch erstmalst Angst um mein Leben: mit einem kleinem, schäbigem Tuktuk einen Weg zu befahren, der Steigungen aufweist, die man in den Alpen umsonst suchen würde und zudem eine knapp zwei bis drei Meter breite Mischung aus Wanderweg, Kiesbett und Schlaglochmeer ist, ist vielleicht nicht die beste Idee, aber immer noch besser als Stunden lang den Berg hochzulaufen und letztendlich sollte diese Vortbewegungsart auch einen Großteil unser in Yingpan zurückgelegten Strecke ausmachen. Eins wurde mir aber recht schnell klar: diese Tuktuks sind einerseits nicht für solche Wege gemacht und andererseits sind solche Wege auch nicht für solche Tuktuks gemacht!

Endlich in Janmen angekommen wurden wir hier auch direkt von den Lehrern begrüßt, diese saßen am Eingang zur Schule vor ihrem Wohngebäude, tranken Bier und Rauchten und ab und zu kam ein Schüler vorbei, um sich seine Aufgaben abzeichnen zu lassen, nur um dann wieder in der Klasse zu verschwinden um weiter zu lernen. Auch hier begann dasselbe Spiel von vorne: sich vorstellen, erklären was man will, fragen was die Lehrer zu brauchen meinen und sich die Schule, sowie die Schüler anzuschauen um abschätzen zu können, welche Art von Hilfe am meisten bringt. Im Vergleich zu ersten Schule war die Armut hier jedoch nicht so extrem, die Kleidung und auch der hygienische Zustand der Schüler war durchaus akzeptabel. Deshalb entschlossen wir uns hier ein Projekt von chinesischen Studenten aus Xiamen durchzuführen. Das Prinzip ist, das die Schüler auf Zettel schreiben, welche Arte von Schulsachen sie benötigen oder gerne haben würden, wir dann von diesen Schülern, zusammen mit ihren Wünschen Fotos machen und diese zu den Studenten schicken, die dann mit diesen Fotos dann Spenden auftreiben, die gewünschten Utensilien kaufen und diese zu uns schicken, damit wir sie an die Schüler verteilen können. Nachdem wir also die Fotos gemacht hatten lud uns der Schulleiter zum Abendessen ein und stellte uns auch gleich in Aussicht, dass uns ein Tuktukfahrer, der gerade an der Schule war, nach dem Essen wieder nach Yingpan bringen könne, wo wir die Nacht verbringen wollten.

Also ging es die abenteuerliche Strecke wieder zurück den Berg hinunter, mit dem Unterschied, dass es zwischendurch geregnet hatte (die Strecke also verschlammt war) und es auch noch anfing zu dämmern. Endlich im Tal (und auf einer befestigten Straße) angekommen überraschte uns der Fahrer mit dem Angebot, wir könnten die Nacht ja auch bei ihm zu Hause verbringen. Da hatten wir also das Dilemma: gemütliches Hotel in Yingpan oder Bauernhaus irgendwo in den Bergen, von dem wir nicht wissen, was uns dort erwarten mag … Wir entschieden uns letztendlich für das Abenteuer, nicht zuletzt, weil besagter Fahrer direkt in der Nähe der Schule wohnte, die wir am nächsten Tag zuerst besuchen wollten. Also ging es recht schnell wieder von der Straße ab und auf der anderen Seite des Tals wieder bergauf (natürlich auf den gleichen Straßen wie auf der anderen Seite). Nach noch einmal einer guten Stunde Fahrt (jetzt war es endgültig dunkel), standen wir endlich vor einer kleinen Hütte, die irgendwo in den Berg gebaut wurde. Der Tuktukfahrer und seine Frau empfingen uns wirklich herzlich und servierten uns sofort (ekliges) Bier und (noch ekligeren) Mondkuchen. Dazu legten sie noch eine DVD ein, die uns die nächsten Stunden mit Musik und Tänzen der Minderheiten Yunnans beglücken sollte. Zusammen mit Bier und Kuchen war es, milde gesagt, gewöhnungsbedürftig. Doch es wurde noch besser, als der Fahrer gegen neun verkündete, er würde uns jetzt etwas zu essen zubereiten (wir hatten ja auch nicht gerade Mondkuchen und vor zwei Stunden an der Schule gegessen; von beidem wusste er). Auch unsere Beteuerungen, wir hätten keinen Hunger konnten ihn nicht davon abhalten raus zu gehen und für uns ein Huhn zu schlachten. Gegen elf saßen wir also zu fünft in der zugeräucherten Küche und verspeisten ein ganzes Huhn (ja, ein ganzes! Inklusive Beinen, Kopf, Lungen, Herz und Blut; und natürlich einem ganzen Haufen Knochen). Danach durften wir dann endlich schlafen.

Am nächsten Morgen ging es dann reichlich früh an die nächste Schule, wo die Schüler nicht nur auf dem Hof zu westlicher Popmusik gemeinschaftlich tanzten, sondern wir auch zu einer spontanen Englischstunde genötigt wurden, in der wir Drittklässlern ‚Jingle Bells‘ bei brachten. Knapp zwei Stunden Tuktukfahrt durchs Gelände später (es ging erneut Berg runter, über den Fluss und auf der anderen Seite wieder hoch) erreichten wir die vierte Schule (Lagu), an der uns der Schulleiter erklärte, da jede Schule Uniformen hätte bräuchte auch er welche, dringender als eigentlich alles andere. Wir entschieden uns dann noch nach Lagu Shan zu fahren, was dem Namen nach (übersetzt: Lagu Berg) eine weitere Tuktukfahrt bergauf bedeutete. Wie in Janmen, saßen auch hier die Lahrer auf dem Schulgelände, bei Bier und Zigarette und zeichneten gelegentlich die Aufgaben vorbeikommender Schüler ab. Und unser Fahrer schien eben jene Lehrer sehr gut zu kennen, zumindest gesellte er sich zu ihnen, lachte und trank (Tee) mit ihnen und auch, als wir eine gute Stunde später mit der Besichtigung der Schule fertig waren, machte er keine Anstalten aufbrechen zu wollen. Nach einem diskreten Hinweis des Schulleiters, dass die Ausländer auf ihn warten würden ließ er sich dann doch zur Abreise überreden.

Bei all diesen Berichten darf man natürlich nicht die Armut vergessen, die uns die ganze Zeit umgab. Auch wenn es witzig klingen mag, wie die Schüler auf dem Hof tanzen, so führen sie doch fast alle ein ansträngendes Leben in Armut, mit fast schon katastrophalen, hygienischen Zuständen, mit wirklich zerschlissener Kleidung und ohne große Perspektiven für die Zukunft. Es ist schon erschreckend, dass man nur knapp zwei Stunden von Lanping, in abgeschiedenen Bergdörfern auf solche Armut trifft und dann wird einem auch bewusst, warum Yunnan die ärmste Provinz Chinas ist.

Wir kamen also mit gemischten Gefühlen aus unserem Kurzurlaub nach Lanping zurück. Zum einen die Bedrückung der Armut, die wir erlebten und die ein schon zum Nachdenken anregt und zum anderen der frisch angewachsene Tatendrang, hier in diesem Jahr in China etwas Entscheidendes zu vollbringen oder zumindest einen Schritt in die richtige Richtung zu machen. Und noch etwas wurde uns klar: nämlich wie klein selbst so ein riesiges Land wie China sein kann. Auf unser Rücktour nach Lanping teilten wir uns den Minibus nämlich mit keinem geringeren als Jordan und einigen seiner Freunde.

Hier ist soweit alles ganz gut, nach einigen regnerischen Tagen lässt sich die Sonne nun wieder sehen, sodass wir für unsere freie Zeit in der nächsten Woche schon einige Ausflugstouren geplant haben. Ihr dürft euch also auf neue Reiseberichte freuen. Abgesehen davon laufen unsere Vorbereitungen für die Projektarbeit um Yingpan auf Hochtouren, das nächste Majiangturnier steht auch bald an und ansonsten genießen wir die letzten Tage, in denen wir noch nicht unterrichten müssen.

Für alle die, die bis hier noch gelesen haben: danke (!), beste Grüße an euch alle und nächstes Mal wird’s wieder kürzer ... versprochen!

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Gudrun und Frank (Mittwoch, 01 Oktober 2014 20:31)

    Hallo lieber Till,
    Dein ausführlicher und sehr interessanter Bericht klingt wirklich nach Abenteuer "pur" und
    hat auch uns sehr nachdenklich gemacht.......
    Wir finden es sehr beeindruckend, das "Ihr" voller Tatendrang in Euer China-Auslandsjahr startet
    und helfen wollt, wo wirklich Hilfe benötigt wird. TOLL
    Noch eine Frage: wie verdaut man ein "ganzes" Huhn ??
    Liebe Grüße aus der Ferne von uns

  • #2

    Susanne Schütz (Sonntag, 05 Oktober 2014 15:17)

    Lieber Till, wie beeindruckend! Zum einen der Wille, etwas bewirken zu wollen und das auch unter Strapazen durchzuziehen - zum anderen, wirkliche Armut hautnah zu erleben. Wir haben vor Jahren in Kairo Kinder besucht, die auf dem Müll lebten und wo freiwillige Helfer versuchten, die Lage zu mildern. Es ist einfach fantastisch, was Sie tun und dabei erleben. Wunderbare Fotos von der Landschaft. Ist auf dem Land denn noch gar nichts angekommen von Infrastruktur, einem Mindestmaß an Versorgung etc.? Wie wird das weitergehen? Ich bin gespannt auf die nächsten Berichte. Passen Sie auf sich auf und machen Sie es gut, viele Grüße aus Kiel sendet Ihnen Susanne Schütz