Der ganz normale Wahnsinn

Seit guten zwei Wochen heißt es für uns bereits wieder Ferien. Und das bis immerhin Anfang März, also gute zwei Monate! Grund dafür ist das chinesische Neujahr am 19.Februar, das größte Fest in China … immerhin gleichzusetzten mit Weihnachten, Silvester und Ostern in einem (zumindest von der Bedeutung). Bis dahin werden wir die nächste Woche noch einmal mit Leonard nach Chengdu fahren um ihn auch gebührend zu verabschieden, bevor es für ihn wieder nach Deutschland geht. Aber darüber will ich jetzt gar nicht so viele Worte verlieren, dass kommt dann wenn wir wieder zu Hause sind. Stattdessen soll es hier um das gehen, was die letzten Monate hinter mir liegt: den ganz normalen Wahnsinn! Oder um es deutlicher zu machen; den Schulalltag an der JinDing ZhongXue.


Man wird es nämlich kaum für möglich halten, aber dennoch unterscheidet sich eine chinesische ‚Provinzschule‘ deutlich von eigentlich allem, was man so aus Deutschland gewohnt ist. Doch erstmal grundlegend zum chinesischen Schulsystem: genau wie in Deutschland werden die Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren in die Grundschule eingeschult. Ebenso wie in Deutschland gibt es davor bis zu drei Jahre Kindergarten. Nach den sechs(!) Jahren Grundschule (die es in eigentlich jedem kleinen Dorf, oder auch Bergdorf gibt) geht es mit der siebten Klasse dann weiter auf die Middleschool, oder auch Juniorschool. Für die Middleschool müssen die Kinder dann schon in die nächst größere Ortschaft. Mit dem Abschluss der Middleschool (nach der neunten Klasse) trennt sich dann die Spreu vom Weizen: während die eine Hälfte ins Arbeitsleben startet, geht es für die andere auf die High- oder Seniorschool. Die sind dann auch schon deutlich seltender. Im ganzen Lanping-County gibt es lediglich drei Seniorschools: die YiZhong, die Minzu, sowie noch eine private Schule, alle samt in Lanping. Nach der zwölften Klasse gehen die Schüler dann hoffentlich mit dem GauKau ab, was es ihnen ermöglicht (wenn es denn gut genug ist) einen der wenigen, begehrten Universitätsplätze abzugreifen. Die ganze Schullaufbahn hindurch gibt es dabei in der Regel Schuluniformen und spätestens ab der Middleschool leben die Schüler, ähnlich einem Internat, in Schülerwohnheimen auf dem Schulgelände, weil sie zum Teil hunderte Kilometer von zu Hause unterrichtet werden. Das führt zum einen dazu, dass die meisten Schüler ihre Familie höchstens zwei, drei Mal im Jahr sehen und zum anderen, dass an den Schulen ein durchaus familiäres Verhältnis herrscht, was eigentlich verwunderlich ist, da die Lehrer (anders als in Deutschland) noch echte Respektpersonen sind. Und doch stellen sie in gewisser Weise eine Art Ersatzeltern dar. Was sie in der Regel aber nicht davon abhält zu (aus deutscher Sicht) recht konservativen Mitteln, wie beispielsweise Schlägen zu greifen, wenn man es denn für nötig hält; und das hoch bis zur zwölften Klasse.

Nun aber zu meiner Schule: der JinDing ZhongXue, einer Middleschool(also Klasse sieben bis neun, oder auch Junior1 bis Junior3). Für die Schüler beginnt der Unterricht um 7.35 Uhr, also gegen sechs aus den Federn noch schnell in der Kantine ein paar Bauze frühstücken und dann schnell in die Klasse (das ganze natürlich unterlegt mit ‚kommunistischer Aufweck-Musik‘). Nach der ersten (Morgen-) Stunde (um 8.15 Uhr) und einer kurzen Pause (von 10 Minuten) geht es dann weiter mit dem Vormittagsunterricht. Im Sommer fällt die erste Morgenstunde allerdings zugunsten einer (ersten) kleinen Sporteinheit für alle Schüler aus … Nach den ersten beiden Vormittagsstunden (von je 40 Minuten) und einer Zehn-Minuten-Pause dazwischen gibt es dann die erste größere ‚Pause‘, die man natürlich super für eine weitere Sportsession nutzen kann: also, alle Schüler klassenweise antreten, zehn Minuten laufen und dann noch einmal zehn Minuten Gymnastikübungen einschieben. Nach zwei weiteren Stunden und einer Pause dazwischen gibt’s dann endlich Mittagsessen in der Kantine, oder alternative eine Fertigsuppe vom Kiosk oder sonst irgendwas aus der Stadt, denn während der Mittagspause dürfen die Schüler das Schulgelände frei verlassen; immerhin haben sie dafür auch von 11.50 Uhr bis 14.00 Uhr über zwei Stunden Zeit. Von 12.45 Uhr bis 13.30 ist allerdings Mittagpause angesagt, und das wortwörtlich! Soll heißen: Schultor abschließen, Schüler in die Unterkünfte und die zur Sicherheit gleich auch noch einmal abschließen. Für diese Dreiviertelstunde gleicht die ganze Schule dann eine Geisterstadt, die lediglich von ein paar einzelnen Lehrern durchstreift wird. Am Nachmittag stehen dann wieder vier Stunden (zu 40 Minuten an), jeweils mit einer Zehn-Minuten-Pause dazwischen, sodass es um 17.10 Uhr dann endlich Abendessen geben kann (dieses Mal allerdings ohne Mittagspause). Man muss ja auch pünktlich um 18.20 Uhr bereit sein für den Abendunterricht. Das heißt dann nochmal zwei Stunden (diesmal auch wirklich Zeitstunden) mit einer kleinen Pause dazwischen und dann endlich um halb Neun Schulschluss, dann noch eine halbe Stunde essen und bettfertig machen und den Tag damit abschließen sich um 21.00 Uhr in das Dormentory sperren zu lassen. Zumindest für die siebten und achten Klassen, denn die neunte darf noch einmal für eine Stunde antreten, bevor sie dann auch endlich um 22.00 Uhr ins Bett dürfen … nur um am nächsten Morgen wieder um sechs aufzustehen.

Ein paar Ausnahmen gibt es  in diesem geregelten Ablauf dann aber doch: am Montag fällt der Frühsport beispielsweise für das Flaggenhissen aus, also alle Schüler und Lehrer geordnet antreten, sich zehn Minuten eine Rede der Schulleitung anhören und dann bei der Nationalhymne der Flagge dabei zuschauen, wie sie gen Himmel steigt … immerhin besser als Laufen zu müssen! Und das Wochenende beginnt hier bereits samstags um 11.50, immerhin geht es am nächsten Tag (Sonntag) ja schon wieder mit dem Abendunterricht weiter … da ist das Wochenende schließlich schon lang genug!

 

Wie bereits an einigen Stellen heraus zu deuten war, herrscht hier (im Vergleich zu einer durchschnittlichen deutschen Schule) noch wirklich Zucht und Ordnung: wenn ein Lehrer etwas sagt, hört man auch darauf, wenn der Lehrer zu Stundenbeginn die Klasse betritt erhebt sich die ganze Klasse (meistens auf die Aufforderung des Klassensprechers hin) und auch im Unterricht ist es nicht wirklich schwer eine ganze Klasse (immerhin über 50 Schüler) unter Kontrolle zu halten. Die Schüler respektieren es einfach, dass der Lehrer die Hosen an hat … oder kennen es nicht anders … oder haben es einfach oft genug eingeprügelt bekommen. Genau zu diesem Verhalten passt dann auch die Rolle des Klassensprechers, der mit einem deutschen Klassensprecher so viel gemein hat, wie Indianer mit Indien: ich denke ‚Lehrergehilfe‘ würde besser passen … denn wie bereits gesagt, wenn ein Lehrer die Klasse betritt fordert der Klassensprecher die Klasse auf aufzustehen, beim Morgensport läuft er zwar mit (allerdings meistens neben der Klasse), gibt beim Turnen danach aber nur die Übungen an und erniedrigt sich in den seltensten Fällen dazu, auch einmal selbst mitzumachen … Das gleiche bei den Sportstunden: Klasse antreten lassen, Befehle des Lehrers weiter geben und evtl. mal etwas vor machen, das ist dann auch schon der gesamte Sport für die Stunde.

Wobei er damit auch nicht wirklich weniger macht, als der Rest der Klasse! Denn wer jemals darüber nachgedacht hat, wie sinnlos deutscher Sportunterricht unter Umständen sein kann, der war noch niemals an einer chinesischen Schule. Am Anfang der Stunde antreten!? Na gut. Dann ein paar Runden Laufen!? Alles schön und gut. Und dann noch ein paar Übungen (evtl.)!? Von mir aus. Und dann einfach alle Schüler machen lassen, was sie wollen, also quasi eine große Pause!? Kein Ding … Moment mal! Ja genau, nach den ersten zehn Minuten macht jeder Schüler, worauf er Lust hat. Und das ist in den wenigsten Fällen wirklich Sport. Entweder etwas Essen gehen, die Hausaufgaben machen oder die armen deutschen Aushilfslehrer belästigen, die nur in der Sonne entspannen wollen. Irgendetwas findet man schon, solange es sich nur nicht um Sport handelt.

Die beiden größten Ereignisse des Schulalltags (neben dem normalen Unterricht) Sind dann eigentlich die Feste und die Ferien. Die Ferien lassen sich schnell abhandeln: da die meisten Schüler fernab der Schule leben und die Ferien dazu nutzen ihre Familien zu besuchen ist in den Ferien einfach nichts los. Genau wie sonst in der Mittagspause, nur dass nun noch nicht einmal vereinzelnd Lehrer über das Schulgelände streifen; also wirklich Geisterstadt!

Die Schulfeste hingegen sind das genaue Gegenteil: die Schüler, die Lehrer und sogar deren Familien scheinen sich das nicht entgehen lassen zu wollen. Denn nie ist hier mehr los als zu den Festen. Und davon gibt es hier schon einige: einfach mal ein Sportfest oder zum europäischen Neujahr einen Talentwettbewerb.

 

Für das Sportfest kurz vor Weihnachten hatten sich die Klassen dann aber auch echt ins Zeug geworfen: extra Schilder gebastelt und Sprechköre einstudiert um die Sportler ihrer Klasse anzufeuern. Über drei Tage maßen sich dann die Klassen im Tau-Ziehen, Basketball und Weitsprung. Und die siebten Klassen traten am ersten Tag noch im Klassen-Synchron-Turnen gegeneinander an. Aber der Großteil bestand dann doch darin, die unterrichtsfreie Zeit zu genießen, auf Seiten der Schüler, wie auf der der Lehrer. Das gleiche dann bei der Talentshow nach Silvester: die Schüler hatten Tänze (traditionell wie auch modern) und Gesänge (traditionell wie auch modern) einstudiert und auch die Lehrer ließen es sich nicht nehmen etwas aufzuführen. Und für uns bestand der Hauptteil wieder einmal darin, das schöne Wetter und die Festlichkeiten zu genießen. Leon hatte dann noch seinen großen Moment, als er einen englischen Song singen durfte. Mein kleines (und seit über drei Monaten geplantes) Klavierkonzert musste dann leider spontan abgesagt werden, da der Schule am Tag vor der Show auffiel, dass man ja überhaupt kein Klavier auf dem Schulhof zur Verfügung stellen könnte ….

Das soll‘s dann auch erst mal von der Schule gewesen sein, bei Fragen oder Unverständlichkeiten … einfach ein Kommentar dalassen. Wir genießen hier die letzte Tage, vor unsere Abfahrt nach Chengdu bei wunderschönem Sonnenwetter, ziehen von einem KTV ins nächste und crashen zwischendurch vielleicht noch die eine oder andere Hochzeit und genießen die Ferien in vollen Zügen! Evtl. genaueres dazu und natürlich zu unserem Urlaub in Chengdu gibt es dann in der ersten Februarhälfte, wenn wir höchstwahrscheinlich wieder in der Heimat verweilen …

Kommentar schreiben

Kommentare: 0