Zu Haus ist es doch am schönsten!

So viel zu den ganz großen Plänen: ganz China wollten wir erleben. Mehr als sechs Wochen, dutzende Städte und Provinzen und mehrere Tausende Kilometer auf chinesischen Straßen und Schienen wollten wir erleben … und nun!? Nun sitze ich wieder zu Hause, in meiner Wohnung im beschaulichen Jinding und schreibe diese Zeilen herunter. China und Pläne? Als ob, aber eigentlich sollte ich das mittlerweile ja auch besser wissen. Aber nun gut, von vorne:

Zu Beginn lief noch alles wirklich gut und nach Plan: nach dem dritten Sicherheitscheck durften wir in Kunming schließlich den Bahnsteig am Hauptbahnhof betreten um in jenen Zug zu steigen, der uns in den folgenden Tagen in die Hauptstadt der Volksrepublik bringen sollte: Peking; einmal quer durch China, vom tiefsten Süden bis hoch in den Norden. Wie lang das ganze dauert? Nach einigen Befragungen von Leuten, die diese Strecke durchaus kennen, stellten wir uns auf knappe 40 Stunden ein … klingt jetzt vielleicht nicht ganz so verlockend, aber hey! Eine Zugfahrt die ist witzig, eine Zugfahrt die ist schön! Achso, wir sind übrigens der Simon und ich, zwei Idioten auf dem Weg durch China!

Also, rein in den Zug, die Betten gefunden (bei 40 Stunden wollten wir uns dann doch schon ein wenig mehr Luxus gönnen, als auf den 20 Stunden nach Chengdu, denn wir hätten auch für ein wenig weniger Geld Sitzplätze bekommen können, aber so verrückt sind wir dann ja doch nicht), Gepäck verstaut und los kann sie gehen, die lustige Fahrt. Abend, Nacht, Morgen, Tag, Abend, Nacht, Morgen, Tag … das ganze durch wunderschöne, wilde Berglandschaften, durch Reisfelder und vorbei an wilden Flussläufen, hübschen Dörfern und großen Seen, durch hässliche Industrieparks und noch hässlichere, kommunistische Wohnblocks. Auf so einer Fahr quer durch China bemerkt man erst die wirkliche Vielfalt, die dieses Land bieten kann, sei es durch die Landschaft, die draußen vorbei zieht, oder durch die vielen Menschen, die immer ein- und aussteigen. Ich würde wirklich schätzen, dass nicht einmal ein Prozent der Fahrgäste, so wie wir, von Kunming bis nach Peking durch fahren. Egal ob Geschäftsmänner, alte Rentner, junge Eltern, allein reisende Jugendliche oder Bauern. In einer chinesischen Bimmelbahn gibt es einfach keine Klassenunterschiede: alle schlafen in denselben Betten, ob nebeneinander (bei 22 Betten pro Wagon) oder übereinander (bei drei Etagen). Ein herrlicher (kommunistischer) Gedanke, den es so in China wohl nirgends anderswo gibt!  Wobei die ständig wechselnden Fahrgäste natürlich kein Grund dafür sind, die Bettwäsche irgendwann auf der Fahrt mal auszuwechseln … Da waren wir schon recht froh, dass wir vom Start an ein Bett belegen konnten und so zumindest eine kleine Hoffnung hatten, frische Bettwäsche genießen zu dürfen.

Als wir dann auch noch anfingen, auf unseren Betten die eine oder andere Runde chinesisches Schach zu spielen, gab es für einige unserer Mitreisende schlicht kein Halten mehr. Ob das jetzt an den Ausländern im Wagon lag mag ich dabei allerdings eher anzweifeln. Vielmehr strahlt das Schachspiel, besonders für ältere, männliche Chinesen, eine wirklich magische Anziehungskraft aus. Obwohl westliches und chinesisches Schach ja bekanntlich vom selben Ur-Schach abstammen sollen und ja auch einige Gemeinsamkeiten haben, die kaum von der Hand zu weisen sind, glaube ich immer noch nicht, dass die Spiele auch nur ansatzweise ähnlich sind. Während westliche Schach eher so aussieht, dass zwei Spieler, in tiefstes Schweigen gehüllt und wie in Trance auf das Brett starren um dann irgendwann einmal nach einer gefühlten Ewigkeit eine Figur zu bewegen, ist die chinesische Version dieses Spiel eine Mannschaftssportart! Während sich zwei Spieler gegenüber sitzen und die Figuren bewegen dürfen, sind sie umgeben von einer ganzen Menschenwolke (schon einmal bis zu 20 Leute), die allesamt laut und voller Emotionen diskutieren, welcher wohl der beste, nächste Zug wäre. Das es zwei Seiten gibt, vergessen die meisten dabei allerdings und sind bei jedem Zug voll dabei. Auf 20 Mitspieler kamen wir leider noch nicht ganz, aber bis zu drei, vier konnten wir schon für uns begeistern, die es sich dann auch nicht verkneifen konnten hier und da einen ‚kleinen‘ Profi-Tipp einzuwerfen.

Bei Schach, träumerischeren Aus-dem-Fenster-Gestarre, Geschlafe und immer wieder dem Weg zum Klo oder Imbisswagen vergingen die 40 Stunden dann auch eigentlich wie im Flug, pardon: wie in Fahrt. Die Zeit verging dann sogar so schnell, dass der Lokführer noch eine kleine Schleife drehte und wir schließlich nach guten 48 Stunden, in Peking aussteigen durften, na toll! Aber zumindest erst mal am Ziel …

Im Norden ist es in der Regel kälter, als im Süden, oder!? Das weiß doch eigentlich jedes Kind, also mal schauen: Wer schon einmal aus dem klimatisierten Flughafen in Las Vegas hinaus in die drückende Mittagshitze getreten ist, weiß in jeder Hinsicht, wie wir uns beim Verlassen des Zuges fühlten. Ich glaube, so eine penetrante Wand aus Hitze und Luftfeuchtigkeit, gibt es nirgends sonst auf der Welt. Und wenn es sie doch gibt, dürften da eigentlich keine Menschen leben! Das witzige an Peking ist, dass die Chinesen sicher gehen wollen und gleich zwei Wände aufgestellt haben: eine Zwischen Zug und Bahnhof und wenn man dann schon denkt, dass man eigentlich gleich Umkippen müsste, verlässt man den Bahnhof und rennt voll in die nächste Wand und einem wird schnell klar, wie angenehm ‚kühl‘ es doch eigentlich im Bahnhof war … Also schnell orientieren, bevor man wirklich umkippt und rein in den nächsten McDonald’s; der hat nämlich zwei entscheidende Vorteile: zum einen endlich mal wieder ‚westliches‘ Essen und dann eine Klimaanlage. Perfektes Klima also um sich tiefgründiger mit der Infrastruktur der Stadt zu beschäftigen und den idealen Weg zum angestrebten Hostel zu finden. Also: BicMac aufessen, noch einmal durchatmen und hinaus in dieses unwirkliche Klima, Haltestelle ansteuern und auf den Bus warten, *Ächzz*, einsteigen - natürlich kein Sitzplatz – na gut, dann stehen, *Schwitz*; halbe Stunde später: aussteigen, erneut orientieren, richtige Straße finden und los; das einzige, was zu dieser Zeit nasser war als unsere Kleidung, ist die Luft! Hostel gefunden, endlich; kein Platz mehr frei – Mist! Also weiter zum nächsten – auch nichts. Vielleicht hätten wir vorher was reservieren sollen … Nach Nummer drei: ja, wir hätten wirklich reservieren sollen! Bis das vierte Hostel uns endlich Einlass gewähren konnte, hatten es unsere T-Shirts tatsächlich geschafft, sich mit ihrer Feuchtigkeit beunruhigend nah an die der Luft zu bringen. Aber endlich am Ziel angekommen stand nur noch die Frage im Raum, wer zuerst unter die Dusche durfte … Zu dem Klima in Peking sei hier nur noch kurz gesagt, dass wir von Tag zu Tag immer besser damit zurechtkamen, was wohl sowohl an der Fähigkeit eines Menschen lag, sich auf neue Situationen einzustellen, wohl aber auch an dem Smog, der für das Weltklima zwar nicht allzu gut zu seien mag, sich auf das Pekinger Klima in den nächsten Tagen aber durchaus positiv auswirkte, weil er kaum Sonne durchlies und so die Temperaturen angenehm drosselte.

Weil das Wetter dann auch echt erträglich wurde (außer, als der Smog einmal entschied uns, in Form von (saurem) Regen, etwas näher zu kommen, als wir es bestellt hatten), stand unserem Touristenprogramm dann auch nichts mehr im Weg.
So klapperten wir also eine ganze Reihe an mehr oder weniger touristisch endeckten Attraktionen ab: Himmelstempel, Platz des Himmlische Friedens, mit dem Mausoleum Maos, der großen Halle des Volkes, dem Denkmal für die Helden des Volkes (die verbotene Stadt ließen wir aus, weil wir beide sie bereits kannten), sowie eine ganze Reihe an, in Peking wirklich häufig vorkommenden, Parkanlagen, sowie den Perlenmarkt von Peking, mit einem wirklich exklusiven Perlenmarkt und einem darunter gelegenen Ramschmarkt, auf dem man durchaus das eine oder andere Schnäppchen ergattern kann, wenn man nur hartnäckig genug feilscht. In den Parks fanden wir dann auch wieder zurück, zu altbekannten Hobbys: dem Schachspiel! Aber auch Läufer, Kartenspieler, Fitness-Freaks, Chöre, Thai-Chi-Kämpfer, Tänzer, Bootstouristen, philosophierende Senioren, junge, überforderte Mütter, Zauberer, Obdachlose, … Ach, chinesische Parks sind neben chinesischen Zügen wohl der zweite Ort, an dem man die gesellschaftliche Vielfalt dieses Landes erleben kann!

Ein wenig traurig wurden wir lediglich, als unser Versuch, das Militärmuseum von Peking zu besuchen kläglich an den geschlossenen Toren brandete, obwohl der Schuppen eigentlich geöffnet haben sollte. Aber mehrere Busbesatzungen und Reisegruppen leisteten uns immerhin Gesellschaft und linderten so das Leid, indem sie ein wenig die Schadenfreude fütterten …

Ein weiteres Highlight (und eigentlich auch erst der Grund für unseren Trip nach Peking), war dann noch das Treffen mit Simons Bruder, das eigentlich aus mehreren Treffen bestand. Der war nämlich rein zufällig zur selben Zeit in Peking, einen Sprachkurs zu absolvieren. Denn ab September wird er seinen Bruder bei Baumhaus quasi beerben und ihm für ein Jahr nach China folgen; deshalb werde ich wohl auch noch mehr mit ihm zu tun bekommen, und ihr wohl auch noch ein wenig mehr über ihn erfahren, aber dazu später mehr …

Martin (jener besagter Bruder) begleitete uns also in so manchen Park und auch das Ente-Essen, sowie einen KTV-Abend durften wir in seiner Gesellschaft verbringen, wobei sich bei letzteren beiden, noch weitere Schüler der Sprachschule anschlossen. Franzosen, Vietnamesen, Israelis, alles in Allem eine wirklich bunte Truppe und auch mal wieder eine nette Abwechslung, etwas mit Altersgenossen zu unternehmen, die nicht direkt aus Lanping kommen. Auf jeden Fall war es cool, schon einmal zumindest einen neuen Freiwilligen der nächsten Generation persönlich kennen lernen zu können, sodass ich mir nun sicher sein kann, dass mindestens einer von denen was taugt …!

So verbrachten wir also knapp zehn Tage in der Hauptstadt, bevor wir uns gegen die eigentlich geplante Weiterreise nach Shanghai, aufgrund von unpassenden, vollen und teuren Zügen, entschieden und uns so wieder auf den Rückweg nach Lanping machten. Und außerdem hatten wir Dorfkinder auch erst mal wieder genug von der großen Stadt. Über die Rückfahrt gibt es dann eigentlich nicht mehr so viel zu erzählen. Halt wieder fahren, schlafen, fahren, schlafen. Das einzige wäre vielleicht, dass der Zug aus irgend einem, unerklärlichen Grund nicht 48 Stunden, wie bei der Hinfahrt, für die Strecke brauchte, sondern nur knapp 33 … Wie er es geschafft hat, über 25 Prozent der Fahrtzeit einzusparen, ist uns nach wie vor ein Rätsel, aber so kamen wir immerhin um zwei Uhr Nachts in Kunming an, statt um zehn Uhr, wie wir erwartet hatten. Wie war das nochmal mit den Plänen!??

Und da waren wir also wieder in Lanping und von unserer großen Tour hatten wir gerade einmal die erste Station geschafft, wobei die zwei Wochen die wir unterwegs waren auch schon durchaus genug Urlaub für ein Stück waren und wir wirklich froh waren wieder zurück daheim zu sein!

Aber die Sommerferien sind ja noch nicht vorbei, und seid endgültig fest steht, dass ich als Verlängerer für die acht Freiwilligen in Jinggangshan in Jiangxi verantwortlich sein werde, steht auch fest, dass ich in wenigen Tagen wieder in den Zug steigen werde um mir Jinggangshan einmal anzuschauen, noch bevor die neuen Freiwilligen dort eintreffen, damit ich auch ein wenig Ahnung von dem Standort und der Gegend habe. Ich verabschiede mich jetzt also auch schon recht bald von dem geliebten Lanping und breche dann schon auf, in das neue Abenteuer Verlängern! Der nächste Bericht wird euch also recht wahrscheinlich aus Jinggangshan erreichen … Bis dahin sage ich erst mal Tschüss und bis zum nächsten Mal. Liebe Grüße (noch) aus Lanping!

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