Die Reinkarnation eines Hobbys

Herzlich willkommen zurück, zu einem neuen Bericht auf meinem Blog! Heute wollen wir mal einen genaueren Blick auf eine kommunistische Planstadt und ihre Geschichte, ein emotionales Déjà-vu, sowie den Alltag eines nichtchinesischen, chinesischen Lehrers werfen. Ach ja, mit Wiedergebruten werden wir uns heute auch noch beschäftigen.

Aber beginnen möchte ich zunächst mit einem kurzen Überblick über meine letzten Wochen in China geben. Gegenüber ersten Ankündigungen habe ich mich nämlich doch gegen das Reisen entschieden und somit vier relativ normale Arbeitswochen in Jinggangshan verbracht.

So, genug zusammengefasst, stürzen wir und mal in das heutige Program: und beginnen möchte ich gleich mal mit dem sehr, sehr emotionalen Déjà-vu! Während man in Deutschland die Wiedervereinigung feiert und jedes Jahr neu darüber diskutiert, wie gelungen sie sei, feiern auch die Chinesen mit dem National-Day, am ersten Oktober, den wichtigsten politischen Feiertag des Jahres. Und direkt davor (drei Tage) wurde dieses Jahr das, nach dem chinesischen Neujahr, zweitwichtigste gesellschaftliche Fest gefeiert: das Mid-Autumn Fest. Und das war immerhin die erste bisschen chinesische Kultur, dass wir letztes Jahr bei unserer Ankunft in Fernost erleben durften. Und unweigerlich wurde ich wieder an Leons und meinen ersten Kontakt mit dem legendären Mondkuchen vor einem Jahr erinnert, als Leonard uns noch davor warnte und das erste, was man uns anbot tatsächlich der damals noch recht gewöhnungsbedürftige Mondkuchen war. Auch dieses Jahr wurde mir das beliebte Gebäck überall hinterhergeworfen: im Lehrerzimmer, auf dem Hof von Schülern, in der Stadt, im Nudelladen, oder auch auf dem Dorf. Mit dem feinen Unterschied, dass man, nach einem Jahr chinesischer Küche, diesem Kuchen sogar noch etwas abgewinnen kann, ja einige sogar regelrecht als lecker einzustufen sind!

Moment, Dorf … was denn für ein Dorf!? Sehr gut aufgepasst! Ich werde mich erklären: In China, dem Land der Wanderarbeiter und der Internatsschulen, in dem man kaum eine Möglichkeit hat seine Familie regelmäßig zu sehen (und das, obwohl die Familie in der chinesischen Tradition das wichtigste im Leben ist) gibt es zwei Feste, in denen man frei bekommt und seine Familie besuchen kann: das Neujahrsfest im Frühling und das Mid-Autumn Fest im Herbst. Und da ich ja keine Möglichkeit hatte, während dieser Zeit meine Familie zu besuchen, lud mich eine Englischlehrerin kurzerhand mit zu ihrer Familie auf das Land ein. Und so fuhren wir hinaus auf ein kleines Dorf, in der Nähe von Longshan (dazu später mehr) und feierten also das Mid-Autumn Fest im Kreise der Familie, wenn auch nicht meiner …

Neben einer wunderschönen Zeit auf dem Land, mit superleckeren Essen, hatte das Mid-Autumn Fest auch noch einen weiteren Vorteil: Schulfrei! Und mit dem National-Day und, diese Woche stattfindenden Prüfungen addiert sich das Ganze dann zu zwei Wochen Freizeit auf. Eigentlich ganz nett, sollte man denken, aber tatsächlich wird es dann doch irgendwann ein wenig langweilig, besonders weil einem die deutsche Gesellschaft fehlt. Chinesen sind wirklich nette Menschen, aber zu viel mit zu vielen zu machen ist auch irgendwie unmöglich, wenn einem der deutsche Ausgleich fehlt. Und diese Stadt bietet auch einfach nicht die Möglichkeit, sich allzu lange ganz alleine zu beschäftigen. So beschränkt sich meine Freizeitbeschäftigung momentan auf Spazierengehen in den ausgedehnten, wunderschönen Parkanlagen der Stadt, dem Laufengehen in eben diesen, dem abendlichen BBQ, lesen und der Wiedergeburt einer alten Lanping-Tradition: dem Burgers-Day, an jedem Freitag! Das mag jetzt alles erst mal relativ einsam klingen, aber nach zwölf Monaten mit sechs Idioten auf mehr oder weniger engem Raum ist so ein wenig Ruhe auch echt schön, auch wenn die Neuen jetzt endlich mal kommen könnten. Ach ja, und ein weiteres, altes Hobby hat hier in den letzten Wochen sein Comeback erlebt: das Badminton spielen! Mit meiner Legalisierung als Ausländer habe ich mir nämlich einen Platz in der Hobby-Truppe der Englischlehrerinnen ergattert, die sich regelmäßig in der örtlichen Turnhalle auf eine Runde Badminton treffen und nach über einen Jahr hatte ich dann endlich wieder mal einen Badmintonschläger in der Hand … und was soll ich sagen, bis auf meine desaströse Kondition, war es auch eigentlich gar nicht mal so schlimm, um nicht zu sagen super toll!

Das ‚ausländischer Lehrer‘-Sein bring natürlich auch in Jinggangshan die gewohnten Vorteile mit sich: selbstverständliche Aufnahme in Sportmannschaften, Einladungen zu Festen und Feiertagen, natürliche Autorität, und und und … Als es bei einem kleinen Sportfest vor den Feiertagen plötzlich anfing zu regnen, warne natürlich sofort ein ganzes Dutzend Schüler zur Stelle um dem Herrn Ausländer einen Regenschirm hinzuhalten, auch wenn für einen selbst dann leider kein Platz mehr darunter war … Letztendlich ist der Ausländerbonus hier sogar noch deutlicher ausgeprägt, als in Lanping oder Liuku, denn während das Nujiang- Tal seit sieben Jahren regelmäßig von Ausländern heimgesucht wird und sich auch davor schon sicherlich der ein oder andere dorthin verloren hat, hat JGS schlichtweg keinerlei Erfahrungen mit Fremden, bevor im letzten Jahr erstmals Baumhausler dort eingetroffen sind. Als die kommunistische Stadt schlechthin war es Ausländern nämlich sogar lange Zeit verboten Jinggangshan zu betreten. Das Verbot wurde endgültig erst vor einigen Jahren aufgehoben. Und so ist es kaum verwunderlich, dass Ausländer hier immer noch die Sensation des Tages sind, wenn nicht gleich der ganzen Woche. Ob nun der ältere Mann auf dem Land, der sich freut wie ein kleines Kind, wenn sich der Ausländer mit im hinsetzt und eine Tasse Tee trinkt, der Sohn des Nudelladen-Besitzers, der bei seiner Freundin punkten kann, weil der Ausländer immer wieder im Laden des Vaters Nudeln essen kommt, oder die BBQ-Besitzer, die eifersüchtig zu ihrer Kollegin starren, weil sie das Glück hat den Stammstand des Ausländers zu führen. Überall wo man hinkommt ist einem die ungeteilte Aufmerksamkeit gewiss! Und was die ganze Sache nur noch besser macht, ist die Tatsache, dass ich jedem Menschen erklären muss, dass ich momentan der einzige Ausländer in der Stadt bin, da die anderen erst in einigen Wochen kommen … es scheint fast so, als sein ich, irgendein blöder, deutscher Abiturient, der Botschafter für alles was hinter der chinesischen Mauer so abgeht! Aber in nicht einmal zwei Wochen ist der ganze Spuck dann ja auch leider, zum Glück vorbei …

Zum Schluss nochmal eine kleine Geschichtsstunde: wie ich mittlerweile ja schon öfters angekündigt habe, genießt Jinggangshan eine recht ereignisreiche Geschichte und ist deshalb auch für fast jeden Chinesen ein Begriff. Wer mal Urlaub in China macht, kann es ja gerne mal ausprobieren, Jinggangshan sollten die meisten kennen, was für eine Größe von nicht einmal 150000 Einwohner schon recht erstaunlich ist. Vor allem frage ich mich auch immer wieder, warum dieser Stadt so viel Bedeutung zugemessen wird, dieser Stadt in der der geliebte Mao es nicht mehr aushielt und mehrere Tausend Kilometer weit weg wanderte um hier raus zu kommen … aber naja, Chinesen halt.

Aber die ganze Stadt ist halt ein kommunistisches Vorzeigeprojekt: durchgeplant, breite Straßen, große Bauten, weitläufige Parks und überall Ehrenmäler, die an die Geschichte dieses Ortes erinnern. Und während des Mid-Autumn Festes hatte ich dann noch die Gelegenheit, abseits von dieser Modernen Planstadt, die eigentlich gar nichts mit Mao und den ‚alten‘ Kommunisten zu tun hat, in die echte Geschichte einzutauchen und die elitäre Privatschule in Longshan zu besichtigen. Besagte Schule ist bereits seit einigen Jahrzehnten nicht mehr in Betrieb und abgesehen von einer wunderschönen Architektur auch nicht sehr beeindruckend, wäre da nicht die Geschichte. Denn in genau dieser Schule lebte Mao und einige seiner wichtigsten Begleiter während ihrer Zeit in Jinggangshan. Das ist dann schon ein starkes Gefühl, genau dort gestanden zu haben, wo Mao wohl früher stand und auf derselben Bank Platz zu nehmen, auf der auch Mao damals gesessen hatte. Die Frage der Englischlehrerin, ob ich vor meinem Jahr in China denn schon mal von Mao gehört hätte war dann auch noch der komödiantische Höhepunkt dieses kleinen Geschichtstrips.

So, so, so … das wäre es also erst mal für heute aus JGS. Um all die Leute zu beruhigen, die die täglichen Nachrichten verfolgen kann ich nur sagen, dass ich weder von den Paketbomben in Liuzhou (was ziemlich genau in der Mitte zwischen JGS und Lanping liegt) noch von den schweren Unwettern in Südchina und Hainan etwas mitbekommen habe, mi geht es gut! Und momentan freue ich mich nur noch auf meine letzten Tage in deutscher Einsamkeit, auf die neuen Freiwilligen, die diese Einsamkeit dann recht bald durchbrechen werden, meinen Bruder, der meine letzten Wochen in China noch einmal nutzt um mich hier zu besuchen und dann natürlich auf das eine Flugzeug, dass in zwei Monaten dann die Ehre haben wird, mich wieder in die alte, geliebte Heimat zu bringen …

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Gudrun und Frank (Dienstag, 13 Oktober 2015 16:12)

    Hey lieber Till,
    wie immer .... Deine Berichte zu lesen ..... TOLL .... super schöne Fotos
    Danke, das wir regelmäßig Deine Erlebnisse und Eindrücke in China,verbunden mit schönen Bildern,
    bei uns zu Hause mitbegleiten dürfen.
    Für die letzten Wochen in China (ganz besonders Deine Zeit mit Eike) wünschen wir Dir
    weiterhin viel viel Spaß.
    Wir freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen in Deiner "alten geliebten" Heimat
    liebe Grüße aus Adendorf