3 Monate Jinding – Ein Zwischenfazit

Ein viertel Jahr bin ich nun schon in Lanping, im (fast) hintersten Winkel von China. Drei wunderschöne Monate liegen hinter mir und zum Glück kann ich mich auf neun weitere freuen. Zeit ein erstes, kleines Zwischenfazit zu ziehen, die letzten drei Monate Revue passieren zu lassen und meine bisherige Zeit ein wenig zu reflektieren.

Vor drei Monaten kamen wir also im völlig fremden Lanping, bzw. Leon und ich in Jinding an. Und zunächst war die Stimmung mehr als gedrückt, besonders den ersten Tag in unserer Wohnung, werde ich dafür wohl länger in Erinnerung behalten. Es war einfach alles anders: das Essen, das Wetter, natürlich die Leute und vor allem Jinding: wer sich zum ersten Mal nach Jinding begibt, wird das verstehen. Es ist halt ein Bergarbeiterdorf: staubig und dreckig, an vielen Stellen heruntergekommen und wenn man direkt aus einen deutschen Stadt anreist, muss man sich auch erst einmal an die Menschen gewöhnen, die in Jinding herumlaufen. Das einzig bekannte (abgesehen von uns selbst) war Leonard, der uns an diesem Tag auch aus unserem ‚Trauma‘ befreite. Mit ihm erkundeten wir Jinding, später Lanping, tranken unseren ersten Fruchtsaft und lernten die schönen Seiten dieser Stadt kennen … und ab dann ging es eigentlich nur noch aufwärts!

Drei Monate später nun, fühle ich mich hier mindestens genauso wohl, wie ich mich die letzten Wochen in Deutschland gefühlt habe und gerade deshalb ist man auch schon ein wenig traurig, dass das erste Viertel bereits rum ist, wobei die Aussicht auf neun weitere Monate auch nicht so schlecht ist! Natürlich vermisst man auch immer wieder einige Sachen oder besonders Personen, aber dazu später …

 

Zunächst ein kleiner Überblick, was wir hier schon alles bereits erlebt haben:

 

Natürlich muss man da mit unseren (kleineren und größeren) Reisen beginnen. In und um Lanping haben wir schon den einen oder anderen Berg bewandert, allen voran natürlich unser Tagesausflug auf den Xuebangshan, mit über 4.500 Metern der größte Berg von Lanping County. Wie bei so vielen Aktionen hier in China war es nicht nur das Wetter, oder die grandiose Natur, die diesen Ausflug zu einem unvergesslichen Ereignis machten, sondern vor allem auch die Begleitung der Chinesen. Einfach immer, wenn diese beiden völlig fremden Kulturen aufeinander treffen, gibt es mächtig was zu lachen, auch wenn gerade die Unterschiede auch immer wieder Konfliktpotenzial bieten. Natürlich sollen hier auch die kleinen Berge berücksichtigt werden: Zum einen der Berg der 1000 Stufen, den wir direkt in unserer dritten Woche hier bestiegen. Das Gute an diesem Berg: es führen Stufen bis zum Gipfel, also keine Kraxelei durchs Gelände; das Schlechte: es sind über 1300 davon … Und nach dem Aufstieg belohnten wir uns dann natürlich noch mit einen viel zu kalten Nacht im Freien auf dem Gipfel. Zum anderen den 5-2-Berg (WuErShan), mit zwei Schülern von Leon und mir … Zwar keine Stufen, aber wieder einmal wunderschönes Wetter, einen unglaublichen Ausblick und vor allem keine eiskalte Nacht auf dem Gipfel … Und wenn man sich nur einmal das Panorama anschaut, das Lanping zu bieten hat erblickt man direkt mindestens ein ganzes Dutzend an anderen Gipfeln, die ebenfalls erobert werden wollen … die eigentlichen (Reise-)Highlights bis jetzt waren unsere größeren Ausflüge, zum einen nach Lijiang und in die Tiegersprungschlucht und zum anderen zur Visumsverlängerung nach Liuku. Zwei Ausflüge, die unterschiedlicher kaum seien könnten und doch eine große Gemeinsamkeit haben: beide gehören wohl zu den schönsten Augenblicken der ersten drei Monate!! Und dann war da natürlich noch der Ausflug nach Yingpan, den Leonard, Leon und ich bereits im September unternahmen um nach bedürftigen Kindern in entlegenen Bergschulen zu suchen (der Auslöser unserer aktuellen Spendenaktion „Schuhe & Bettwäsche für Yingpan“) natürlich hatten wir hier primär einen Arbeitsauftrag, und doch fanden wir immer wieder Augenblicke, um die atemberaubende Natur zu bestaunen, mit den Menschen dort in (privaten) Kontakt zu treten oder einfach nur das schöne Wetter zu genießen.

Aber was noch mehr Eindruck bei mir hinterlassen hat, als unsere Reisen und Ausflügen, ist der ganz normale Alltag in Jinding und Lanping. Auch nach drei Monaten gibt es immer noch so viel Neues hier zu erleben, und auch die Dinge, die mittlerweile zur Gewohnheit geworden sind, sind in vielen Fällen immer wieder ein Highlight! Ob der Markt in Jinding, ein Besuch bei Schülern, oder gleich einer Hochzeit, das Essen in einem der vielen Nudel, HotPot, Dishes, oder Barbecue Läden, ein Fruchtsaft in unserem Saftladen des Vertrauens, eine Runde Billard im Park oder ein abendlicher Tanz auf dem zentralen Platz von Lanping. Ein Burger am (mittlerweile zur Tradition gewordenen) ‚Burgersday‘, oder ein Gemütlicher Abend unter uns Freiwilligen bei einer Runde Majiang oder gleich mit geladenen Chinesen im KTV … es ist einfach unmöglich, all das aufzuzählen, was das Leben hier auszeichnet. Auch die Projektarbeit macht deutlich mehr Spaß, als man annehmen möchte, und als ich es anfangs auch erwartet habe. Und den Hauptgrund dafür sehe ich in unserer Gruppe: Wir vertragen uns alle super, bis auch ein paar Kleinigkeiten hin und wieder, können eigentlich immer gut zusammen arbeiten und haben, sei es privat oder bei der Projektarbeit, immer viel Spaß zusammen, sodass man es auch mal überlebt mehrere Stunden hindurch gesammelte Kleidung zu sortieren.

An dieser Stelle einmal tausend Dank an Leon, Pascal, Philipp, Simon, David und natürlich Leonard, für die so schöne Zeit, die wir bisher hier verbracht haben, für die tollen Erlebnisse und auch für die Zeit, die noch kommt!

Urlaub, Alltag und Projektarbeit … da fehlt doch noch etwas, oder? Natürlich der Unterricht! Und auch wenn das der Punkt war, auf den ich mich in Deutschland mit Abstand am wenigsten gefreut habe, ist das Unterrichten mittlerweile zu einer meiner liebsten ‚Beschäftigungen‘ hier geworden. Die Schüler sind einfach klasse, auch wenn es natürlich immer wieder ein paar Idioten gibt. Dann Leon, mit dem ich mich einfach super zusammen vor eine Klasse stellen kann und auch die acht Stunden pro Wochen (nicht zu viel und nicht zu wenig) … Und nicht nur der Unterricht, sondern der gesamte Schulalltag an der Jinding Zhong Xue sind ein wahrer Traum! Ob das Essen mit den Lehrern, dass Sonnenbad in der Mittagspause oder eine Runde Basketball mit den Schülern, das abendliche Klavierspiele im Musikraum oder auch der Besuch von Schülern in der Wohnung. Vielleicht bis auf die Toiletten ist hier einfach alles verdammt toll, schön, wie man es auch immer nennen will.

Jetzt noch einmal zu meinen Erwartungen und Befürchtungen vor meinem Auslandsjahr und über meine Erwartungen für die nächsten Monate:

Meine Erwartungen: natürlich freute ich mich auf ein aufregendes Jahr, fernab der Heimat, etwas völlig Neues zu erleben. Natürlich auch die Berichte meiner Mitmenschen, dass ein solches Jahr die Menschen verändern würde, nur bin ich mir immer noch nicht sicher, ob das eine (positive) Erwartung oder doch eher eine Befürchtung war. Zudem bekomme ich bis jetzt noch nicht wirklich viel einer möglichen Veränderung mit, ob einfach (noch) keine stattfindet, oder man es schlicht nicht bemerkt, da wir alle uns hier verändern!? Das wird sich wohl erst zeigen, wenn ich wieder in Deutschland bin. Neue Menschen kennen lernen. Seien es die anderen Freiwilligen oder natürlich auch Chinesen. Aber da lag auch zugleich eine meiner größten Befürchtungen: meine Mitfreiwilligen, was einfach daran lag, dass ich jene fünf Jungs und Leonard, mit denen ich ein ganzes Jahr zusammen verbringen sollte schlicht weg nicht kannte. Na klar, ein zweiwöchiges Vorbereitungsseminar, aber wie will man ich zwei Wochen denn einen Menschen wirklich kennen lernen!? Aber wie bereits gesagt schien ich (eigentlich wir) da Glück gehabt zu haben. Die zweite große Befürchtung war der Unterricht. Vor wenigen Monaten noch selbst die Schulbank gedrückt und dann auf einmal selbst vor einer Klasse stehen, dann auch noch 50+ Schüler, die zu allem Überfluss auch kein Deutsch sprechen und Englisch sollte man auch nicht allzu viel erwarten. Das kann doch gar nicht funktionieren! Tat es dann aber doch … Zum einen, weil das Englisch dann bei weitem doch nicht so schlecht war, wie erwartet und weil chinesische Schüler einfach viel disziplinierter sind als ihre deutschen Gegenstücke: wenn der Lehrer sagt, dass Ruhe ist, dann ist auch Ruhe! Vielleicht hilft uns da auch eine Art Ausländerbonus, da man besonders bei unseren (jüngeren) Schülern bemerkt, dass man als ausländischer Lehrer beides sein kann, Freund und aber auch eine Respektperson, was für mich einen guten Lehrer ausmacht, was ich in Deutschland ja auch schon erleben durfte, nur halt von der anderen Seite. Die dritte große Befürchtung war schließlich, dass man, wie auch immer, mit der neuen Situation nicht zurechtkommt. Ob die Mitmenschen, das Essen, das Klima oder was sich sonst noch alles von einen auf den anderen Schlag so drastisch änderte. Oder, dass man Teile des alten Lebens vermisst, Heimweh bekommt. Zum einen bewahrheitete sich diese Befürchtung dann auch: Während ich mit der neuen Situation, wie wahrscheinlich schon heraus zu lesen war, wirklich gut zurecht komme, vermisst man doch hin und wieder verschiedenen Dinge. Ja, richtig: Dinge!

Ich muss sagen, dass ich meine (alten) Mitmenschen überraschend wenig vermisse. Na klar, man denk immer wieder an den Abijahrgang, der mir die besten drei Jahre meiner Schullaufbahn schenkte, an meine Badmintonmannschaft, mit der ich so viele schöne Stunden in den Sporthallen Schleswig-Holsteins verbracht habe, an die Pfadfinder, die mich wahrscheinlich mehr geprägt haben als alles andere (die Familie mal ausgenommen) , eben diese: die Familie, zu der man gar nichts mehr sagen muss und alle anderen Freunde, die mich diesen ersten Abschnitt meines Lebens begleitet haben … Man fragt sich immer wieder: „Was tut er nun?“ oder „Wo mag sie jetzt gerade stecken?“ Auch wenn ich von vielen ja immer noch die aktuellen News erfahre … der Segen des 21. Jahrhunderts! Aber vermissen!? Nicht wirklich, da sieht man sich halt mal eine längere Zeit nicht. Und um groß Heimweh zu bekommen fühle ich mich hier schlicht zu wohl.

Natürlich wünsche ich mir für die restliche Zeit, dass das auch so bleibt. Generell muss ich sagen, dass wenn die nächsten neun Monate so verlaufen, wie die letzten drei, dass ich dann wirklich zufrieden sein kann mit meinem Auslandjahr. Dank Leonard konnten wir so schnell in unser neues Leben starten, dass ich mir eigentlich nichts Neues mehr wünsche, nur noch eine Intensivierung des aktuell Bestehenden. Freundschaften vertiefen, die Sprache besser verstehen, schreiben und sprechen können und den Unterricht und besonders die Projektarbeit weiter voran bringen.

Eine ‚neue‘ Sache gibt es dann aber doch noch und jetzt müssen alle, die gar nicht mehr warten können, bis ich endlich wieder nach Deutschland komme, stark sein: Denn die letzte Zeit habe ich immer öfter über die Möglichkeit nachgedacht, meinen Dienst hier um einige Monate zu verlängern und mir auch über die Konsequenzen Gedanken gemacht … Das Leben hier ist einfach so besonders und ich habe es mittlerweile so sehr lieb gewonnen, dass ich es nur schwerlich aufgeben will, und ins stumpfe (Entschuldigung!) Deutschland kann ich immer noch zurückkehren und mein Leben verbringen, aber hier her kommt man so schnell nicht wieder. Im Moment sehe ich meine Motivation zu verlänger so bei 50%, also bin ich noch absolut unentschlossen! Aber ich habe ja noch ein paar Monate um mir klar zu werden, was ich letztendlich wirklich will …

So, das war mein, vielleicht doch etwas größeres, Zwischenfazit zu meinen ersten drei Monaten hier in Jinding/ Lanping County/ Nujiang Prefecture/ Yunnan Province/ China. Hauptsächlich habe ich mir persönlich einiges von der Seele geschrieben, aber wenn es da draußen jemanden interessiert, umso besser! Liebe Grüße an euch alle, einen fröhlichen Zweiten Advent und generell eine schöne Weihnachtsvorzeit, trinkt einen Glühwein für mich mit und bis zum nächsten Mal,

Till


Ganz fertig bin ich dann doch noch nicht, denn im Text habe ich ja schon ein wenig damit angefangen und dann möchte ich das auch konsequent zu Ende bringen und die Gelegenheit nutzen um mich bei einigen Menschen zu bedanken:

Zunächst noch einmal bei Leon, Simon, David, Leonard, Philipp und Pascal dafür, dass ich mit euch so eine schöne Zeit verbringen durfte und auch noch darf! Und dann gleich auch beim Baumhaus-Projekt und bei Jugend im Ausland dafür, dass ich diese einmalige Chance bekommen habe nach China zu gehen!

Natürlich bei Mama, Papa, Eike, Camillo, Tiger-Oma, Oma Alma, Kurt, Gudrun und Frank, Dagmar, Gabi, Uschi, Gina und Dirk, bei Henrik, Hanne und Marten, Greta und Karla, Aju und Joschi dafür, wofür man seiner Familie halt danken kann, dass ihr die beste Familie seid, die man sich wünschen kann.

Natürlich auch bei meinem Partenonkel Roger und der ganzen Familie Koenemann!

Und bei Christian für alles, was bisher kam und hoffentlich noch kommen mag!

Bei Janos dafür, dass du der wohl treuste Freund warst, den man sich wünschen kann!

Bei den Besoffsiks (Tom, Fynn, Kenneth, Sven, Lennard, Niclas, Fabius und Andri) für den wohl beklopptesten Haufen, den es gibt und vor allem für wahre Freundschaft!

Bei Elwood, Moritz und Tjark für die beste Sippe und einige der schönsten Momente meines Lebens! Und natürlich bei allen Jomsburg Pfadfindern, speziell bei Nutschi, Tole, Malte & Malte, Aurea, Bommel, Fiona und natürlich Tomte & Brochi! Ich komme wieder …

In dem Sinne auch bei Fritzi für eine Freundschaft, wie keine zweite!

Natürlich besonders bei der 13g und meinem ganzen Abijahrgang, für die schönsten Jahre meiner Schulzeit  und ganz neue Perspektiven! (besonders: Daniel, Corny, Mathea, Juli, Lene, Kimi, Sandra, Bella, TillR., Sunna, Merle, Jonas, Kira, und so vielen anderen)

Bei den Rischis (Melly, Meri, Jutti, Michi) für die wohl coolste Familie und die besten Badmintonpartner!

Dann natürlich bei allen vom SV Hammer für die wunderschönen Jahre (besonders bei Anna, Lea, Levke, Dennis und Ann-Christin für die beste Punktspielgruppe und natürlich auch bei Moni)!

Und bei Kaan, für den besten Doppelpartner, den man finden kann!

Bei Kathi, für die beste Freundschaft, trotz Höhe und Tiefen …

Bei Mimi für … ach, das weißt du selber!

Bei allen vom Jungen Rat Kiel und natürlich Chrissi!

Sowie Nahmen Roeloffs von Spendenparlament Kiel.

Bei der gesamten Crew von PizzaMax Kiel für das tolle Jahr!

Und natürlich ganz besonders bei den drei Menschen, die mir (außerhalb der Familie) wohl am meisten mit auf den Weg gegeben haben (und ganz nebenbei wohl auch meine Joker bei Günther Jauch wären):

Nicole Einert

Frank Schuppius

Jens Schlicker

Und bei jedem Menschen, der mich bis hier hin begleitet hat, bei all denen, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin! Das habt ihr gut gemacht … Danke!

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Kommentare: 2
  • #1

    Gudrun und Frank (Sonntag, 07 Dezember 2014 16:44)

    Lieber Till,
    ........ ohne viel Worte !
    Wir sind begeistert von Deinem Bericht und glauben jetzt sogar,
    das China für Dich eine neue Heimat sein könnte, oder sogar wird .
    Wir würden es verstehen ... !
    Eine schöne Weihnachtsvorzeit mit Deinen neuen Freunden.
    Gudrun und Frank

  • #2

    Aliena (Dienstag, 09 Dezember 2014 06:53)

    Oh Till, das hast du wunder-, wunderschön geschrieben! Schön, dass es dir hier so gut gefällt, und dass du dich so gut eingelebt hast.
    Wir sehen uns dann in zwei Wochen, ich freu mich schon euch Chaoten wieder zu sehen, und mit euch Weihnachten zu feiern.
    Grüß' mir alle lieb!